Viel geschafft, aber noch einiges zu tun

Hamburger Wohlfahrtsverbände zu 5 Jahren „Wir schaffen das“

Hamburg, 28.08.2020. Am Montag jährt sich zum fünften Mal der Ausspruch von Angela Merkel „Wir schaffen das!“. Für die Hamburger Wohlfahrtsverbände fällt der Rückblick auf die letzten Jahre vielschichtig aus.

Als die Bundeskanzlerin am 31.08.2015 ihren berühmten Appell an die Öffentlichkeit richtete, markierte sie damit einen Wendepunkt in der Entwicklung unserer Zuwanderungsgesellschaft. Die Hamburger Wohlfahrtsverbände blicken vor allem auf die Anstrengungen der vielen sozialen Einrichtungen, Freiwilligen und nicht zuletzt Geflüchteten, wenn sie feststellen, dass seit 2015 tatsächlich viel geschafft wurde. Es bleibt aber eine Reihe von Problemen, die ohne mutige politische Entscheidungen und ausreichend Ressourcen nicht zu lösen sind.

„Was in den letzten Jahren deutlich wurde: Integration ist eine gesellschaftliche Kraftanstrengung, die alle angeht. Es handelt sich nicht um eine einseitige Bringschuld der geflüchteten Menschen. Vielmehr muss die Aufnahmegesellschaft die nötigen Rahmenbedingungen schaffen, damit zugewanderte Menschen sich hier ein neues Leben aufbauen können“, sagt Sandra Berkling von der Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW), dem Zusammenschluss der Hamburger Wohlfahrtsverbände.

Gemeinsam für eine neue Willkommenskultur
Um das Ankommen und die Teilhabe geflüchteter Menschen zu unterstützen, wurde aus Sicht der Wohlfahrtsverbände viel getan:

  •  Soziale Einrichtungen und Verbände haben sich 2015 sofort auf die Zielgruppe eingestellt: Migrations- und Sozialberatung, Hilfen zur Berufsorientierung, psychosoziale Unterstützung, Begegnungsprojekte und vieles mehr wurden innerhalb kurzer Zeit angepasst und erweitert. Neben ihren eigenen Angeboten haben die Verbände dabei auch erstmals gemeinsam Projekte gestartet, um die Integration von Menschen mit Fluchthintergrund zu begleiten. Dazu gehören „Perspektive Hamburg“, das in ausgewählten Stadtteilen das Zusammenleben von alteingesessenen und zugewanderten Menschen unterstützt, und das Projekt „Kita-Einstieg“, das Familien den Weg in das Kita-System ebnet.
  •  Nicht nur die hauptamtlichen Angebote, sondern auch die zahlreichen Aktivitäten von Freiwilligen haben die Hilfelandschaft nachhaltig verändert. Rund um neue Unterkünfte sind Nachbarschaftsinitiativen entstanden, die mit ihrem Engagement die Willkommenskultur der ersten Jahre maßgeblich geprägt haben.
  • Für die haupt- und ehrenamtliche Integrationsarbeit stellten Bund und Länder kurzfristig Gelder bereit und schufen neue Strukturen. So erhöhte Hamburg beispielsweise das Budget für landeseigene Sprachkurse und initiierte die Anlaufstelle W.I.R., um Geflüchtete in Ausbildung und Arbeit zu bringen.

Was wir (noch) nicht geschafft haben
In der praktischen Arbeit der Projekte, Einrichtungen und Verbände wird allerdings immer wieder deutlich, dass Versorgungslücken und fragwürdige politische Weichenstellungen die Integration erschweren:

  • In den letzten Jahren hat sich die Gesetzgebung spürbar verschärft. Mit dem Migrationspaket hat der Gesetzgeber in 2019 u.a. Teilhabemöglichkeiten beschnitten und eine rigide Abschiebepraxis ermöglicht, was im offensichtlichen Kontrast zur Willkommenskultur steht. Hier ist Hamburg aufgefordert, sich dem Bundestrend zu widersetzen und alle Spielräume für einen humanen Umgang mit aufenthaltsbeenden Maßnahmen zu nutzen.
  • Die Unterbringungssituation von geflüchteten Menschen ist nach wie vor ein großes Problem, angefangen beim Ankunftszentrum in Rahlstedt, wo die baulichen Rahmenbedingungen (Hellhörigkeit, Enge) in Verbindung mit nächtlichen Abschiebungen zu unzumutbaren Belastungen insbesondere für Kinder führen. In der öffentlich-rechtlichen Unterbringung stellen sich andere Fragen, dort sollten vernünftige Mindeststandards verankert werden z.B. in Hinblick auf die Belegungsdichte oder den Betreuungsschlüssel im Sozialmanagement. Ein echtes Integrationshindernis ist und bleibt bekanntlich der Mangel an bezahlbarem Wohnraum, der viele Bewohner*innen dazu zwingt, trotz Wohnberechtigung in der Unterkunft zu verbleiben.
  • Der Bedarf von Geflüchteten an Beratung und Orientierung übersteigt bei weitem das Angebot. So gibt es im Ankunftszentrum immer noch keine unabhängige, staatlich finanzierte Asylverfahrensberatung, obwohl 2019 die rechtliche Grundlage dafür geschaffen wurde. In den Quartieren wiederum fehlt es an niederschwelliger Sozial- und Lebenslagenberatung, in der Menschen Anliegen verschiedener Art ansprechen können. Ebenso benötigen geflüchtete Menschen mehr psychotherapeutische und -soziale Angebote als vorhanden sind.
  • Viele Projekte, die erfolgreiche Integrationsarbeit leisten, sind zeitlich befristet. Sie bedürfen aber einer Verstetigung und somit einer dauerhaften Finanzierung, um nachhaltige Wirkung entfalten zu können.

Sandra Berkling: „In den letzten fünf Jahren wurde eine beachtliche Hilfsinfrastruktur aufgebaut, aber sie reicht nicht aus, damit geflüchtete Menschen an allen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens teilhaben können. Integration schaffen wir, aber nur, wenn wir die nötigen Ressourcen einsetzen, um Versorgungslücken zu schließen und erfolgreiche Maßnahmen zu verstetigen. Dafür brauchen wir auch das politische Verständnis für Zuwanderung als normales globales Phänomen, dem wir nicht mit Abwehr, sondern mit Veränderungsbereitschaft begegnen sollten.“

Falls Sie Kontakt zu den Integrationsprojekten der AGFW und/oder Menschen, die sich dort in der Beratung befinden, wünschen, kontaktieren Sie uns gerne.

Kontakt:
Sandra Berkling
Arbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege (AGFW) Hamburg e.V.
Burchardstraße 19, 20095 Hamburg
Tel. 040 - 23 68 65 57 oder 0151 - 42 54 74 68
sandra.berkling@agfw-hamburg.de

  • 2020-08-28

PM-5-Jahre-Wir-schaffen-das_28.08.20.pdf (459 KB)